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Freitag, 24. September 2021
Trouvaille
Reisebeschreibung von 1923 ins Tessin und nach Italien
Dieser Tage erhielt ich von Brigadier Robert Küng - wie ein Vermächtnis - ein äusserst originelles Zeitdokument, geschrieben mit einer klappernden Schreib-maschine (1923!) und geheftet als Durchschlagsammlung. (Das Original wurde mit Durchschlagspapier mehrere Mal unterlegt, so dass die Anschläge auf dün-nem Durchschlagspapier als Kopie abgedruckt waren. Es handelt sich um einen Ausflug von Näfelser Männern, die sich den Namen "Wäggitaler" gaben und der Berichterstatter nannte sich "dr ghülpet Bott", offenbar war er gehbehindert und hinkte. Das Dokument ist 22 cm breit mal 34 cm hoch, schulheftblau, elf Seiten Schreibmaschinentext, ergänzt mit Fotos und Ansichtskarten. Viel Spass beim Lesen!
Wäggitaler-Club
D Reis nach Italien
Reiseberichterstattung vom hinkenden Boten
Es war am 12. August anno domini 1923 als die Wäggitaler, fein geputzt, mit Rucksack angetan, mit dem 7 Uhr-Zug ins Tessin abdampften. Zu unserem all-gemeinen Bedauern mussten wir die Kollegen Baese und Bachmann zurück-lassen.
Alle Mitglieder waren bei der Abreise sehr sittsam, wenigstens bis Ziegelbrücke. Ab dieser Station wurde schon folgende Vorschrift erlassen: „Wer wüste Reden führt, wird je nach Schwere des Vergehens zum Lesen in einem roten Buche verurteilt.“
Es ist hier zu bemerken, dass Raimund der erste war, welcher 2 Seiten lesen musste.
In Thalwil 1 Stunde Aufenthalt: kurze Besichtigung des Zürichsees Ein elektri-sches Lokalzüglein führt uns nach Zug. Etliche unserer Mitglieder steigen zum ersten. Mal in eine elektrische Eisenbahn ein. Sie können nicht begreifen, dass zum „Lokomotiv“ kein Rauch hinauskommt und das Züglein doch vorwärts geht. In Zug wird im Hotel Schiff eine kräftige Fleischbrühe mit etwas Herrliberger verabfolgt. Der weisse Wein entflammt unsere ornithologischen Mitglieder derart, dass sie auf dem Rückweg zum Bahnhof vom städtischen Hühnergarten fast nicht mehr zu trennen sind. Glücklicherweise sitzen wir bald im Express, welcher mit guter Velogeschwindigkeit dem Gotthard zustrebt. Hofstetter und Viktor kle-ben sozusagen an den Fenstern, denn sie sind noch nie in einer so „grossen Eisenbahn“ gefahren. Bei jedem Tunnel fahren sie zusammen und geben sich in-nig die Hand. Kassier Brunner, der einzige keusche Jüngling unserer Gesell-schaft, steigt mit dem ganzen Vereinsvermögen erst in Flüelen ein; er hat wäh-rend 8 Tagen einen Turnkurs in Bürglen resp. in Altdorf absolviert. Die von uns einbezahlten Beträge werden ihm gleich abgenommen. Er versprach, durch sittsames Betragen sich unsere Gunst zu erwerben. Der Zug rollt – der Appetit regt sich. Im Gotthardtunnel wird der mitgebrachte Proviant mit Stumpf und Stiel vertilgt und mit Möhrliwirtin Wein in verdankenswerterweise begossen.
E n d l i c h Airolo. Der Himmel bringt unsere nordischen Temperamenter in Ek-stase: Raimund görbst, Brunner kichert nach seiner bekannten Art, Viktor sucht Vegeation. Hofstetter und Zesi trinken nochmals Gesundheit, welche Dr. Vital seit einiger Zeit zu fehlen scheint. Er jammerte: nein, so weit Eisenbahn zu fahren bin ich mir nicht gewohnt, weiter als bis Einsiedeln reise ich seit vielen Jahren nicht mehr. Dem aufmerksamen Beobachter entging nicht, dass in Vitals Kopf schwere italienische Gewitterwolken deutsches, speziell das Näfelser-Deutsch zu verdrängen suchten, so dass er schon in Bellinzona bei der Ankunft zum Fenster hinausruft: «Una birra». Beim kurzen Aufenthalt in Bellinzona läutet es vom nahen Daro zur Vesper. Die Glocken schwingen an grossen Rädern zum Turm hinaus.
Hofstetter, welcher mit uns am Bahnhofbuffet einen Kaffee trinken wollte, steht wie versteinert auf dem Perron und schaut dem Treiben auf dem Turm zu. Der Kaffee ist vergessen. Er ist sprachlos und steigt mit uns wieder ein. Nachdem er sich etwas erholt hat, sagt er bloss: «Gält ä Du, Viktor, z’Itali!»
Nach schöner Fahrt langen wir gegen 3 Uhr in Lugano an. Wie es sich geziemt, besuchen wir dort in der Kathedrale schnell die Vesper, wo sich zu den Orgel-tönen gleich die lustigen Klänge eines Orchestrions im nahen Ristorante gesell-en. Gehört, gegangen. Das erste birra mundete ordentlich.
Auf dem Weg zum Funicolare Salvatore treffen wir am Quai die Tochter unseres Vetters Karli, einsam lismend auf einer Bank. Auf dem Salvatore Rundsicht tadel-los.
Raimund zeigt lebhaftes Interesse an einem Kuhstall, wo er sich lange Zeit an die Fenstergitter klammert. Wir erinnern uns gerne des alten Herrn aus Lugano, wel-cher uns in zuvorkommender Weise die Aussicht erklärte. Auch die Aussicht auf die hohe Zinne des Schlossturms – von unten gesehen – gefiel etlichen sehr. Auf dem Rückweg wurde Vetter Karli die Hand gereicht. Die Antwort auf unsere Fra-ge, ob es ihm in Lugano gut gefalle, heisst kurz zusammengefasst: «ä heissä Chäib» - Abreise nach Ponte Tresa, (sprich Ponte-Teresa) Hier solennes Bankett im Freien. Vital beginnt italienisch zu parlamentieren, der Berichterstatter rechnet. Die Rechnung ist verflucht hoch. Allgemeine Depression. «Wenn es so vorwärts geht, sind wir schnell auf dem Hund» meint Viktor betrübt.
Aber welch glücklicher Zufall – erst nachträglich entdecken wir auf der Rechnung des Nachtessens, dass dort gleich auch das Übernachten notiert war. Schon wa-ren wir im Begriff, uns in die Betten zu legen, damit wir ja keine Ausgaben mehr machen sollten. Aber bei dieser Entdeckung schlug die Stimmung plötzlich um.
Brunner machte einen salto mortale, Viti und Zesi bestellten gleich Flaschenwein, welchen aber alle bezahlen mussten. Es folgt Ball im festlichen Saal, wo sich Jung und Alt nach Tessinerart ungezwungen im Kreise drehen. Sogar eine acht-zigjährige Grossmutter wird vom Strudel mitgerissen und «fleugt» nach Noten. Auch Dr. Vital greift leichten Fusses vorteilhaft ins Getriebe ein, während Brunner und Raimund nicht gerade durch Vigalanz glänzen und sich lieber dem Wein wid-men. Der Berichterstatter manipuliert unterdessen erklärend mit der Selzflasche. Raimund lässt sich gern oder ungern von der Druckkraft der Seltz überzeugen.
Nach dem Ball Stelldichein in den Parkanlagen, wo die ältere Signora mit ihren beiden Töchtern mit herzlichen Worten bewillkommt wird. Wir laden sie zu einem Glas Nostrano ein. In einer Begeisterung wird angestossen, evviva ruft Vital und streckt sein Glas den hübschen Damen entgegen. «gönd i d’Hell, ihr Chögä!», ruft ein anderer und stosst ebenfalls an. Das Damentrio war überglücklich, so lie-benswürdige und splendide Spender erwischt zu haben. Senior Viktor hat die Gnadeell, zum Aufbruch zu mahnen. Nach kurzem Wassergefecht und nach der Taufe der «Brunneri» mit Tessinerfahnen schlafen alle so ziemlich bald in saube-ren Betten. Der Dreck war unter den Betten.
Kaum ist der Morgen angebrochen, wird Tagwacht gerumpelt. Von Wasser war in unseren Zimmern infolge des vorausgegangenen Wassergefechtes keine Spur mehr zu finden. Hofstetter entpuppte sich bei dieser Gelegenheit als tadelloser französischer Parlamentär. «Ein Brunnen mit 5 robinets 3 Minuten vom Hotel spendet Wasser im Überfluss» sagt ihm der Beizer auf französisch, «Dr Hofstet-ter isch doch ä gschiidä Chogä», meint Raimund und ist zufrieden, alsdann sein Zifferblatt im Wasser weddeln zu können. Nachdem der miserable Morgenkaffee getrunken ist und die alte Schmuttere mit einem kurzen Besuch bedacht worden war, und nachdem sich die Töchter in ihrer Körperpracht präsentiert hatten, zie-hen wir hochbefriedigt über die Grenze. Addio Svizzera! Im Luxuszug geht’s von Pontetresa in wackliger Fahrt nach Luino, wo uns ein flotter Dampfer aufnimmt
Obschon Vital in Pontetresa würdevoll die Charge als Intrepret übernommen hatte und sämtliches umgewechseltes Geld der ganzen Gesellschaft in seiner Ta-sche vereinigte, wagt er es nicht, an die Schiffskasse zu gehen, um die Billets zu lösen, sondern drückt dem Berichterstatter zitternd das italienische Geld in die Hand. «Geh du.», sagte er. Das schneidige vom Abend vorher ist entschwun-den…. Auf dem Verdeck erholt er sich. Er befreundet sich bald mit einem italienischen Zöllner an und diskutiert mit ihm wie ein Eingeborener vom Strande des Lago Maggiore. Auf dem Verdeck zeichnet sich Brunner aus, Er schläft gleich einem müden Gesellen in einer Kneippe, den Kopf in die Arme legend. «Das kommt vom Turnen in Bürglen» meint einer.
Die prachtvolle Aussicht auf dem Schiff wird von den übrigen voll gewürdigt, be-sonders überrascht die üppige Vegetation des linken Ufers des Langensees. Bis jetzt hat Raimund seine Pflicht als Schmuggli vollauf erfüllt. Jetzt aber revoluzio-niert er. «Entweder müssen die Weinflaschen ausgesoffen werden, oder ich ent-leere sie in den See.» ruft er. Wir wählen das erstere. Ein Hoch dem Spender Bachmann, der Wein ist köstlich. – er zerteilet die Winde im Leibe. Und stärket das Gedächtnis. Bei der Einfahrt in Pallanza zeigt uns Raimund erklärend das Gemeindehaus: «Balanse communale» Er hat schon etwas italienisch gelernt. Die Redseligkeit nimmt bei allen ab. Die Magen fangen an zu knurren. Gegen 12 ½ Uhr steuert der Dampfer Isola Bella zu. Anhalten, aussteigen. Auf Viktors An-gesicht lese ich den ersten Eindruck am Landungssteg: «lori».
Tatsächlich. Man sieht nichts als Wirtshäuser und Verkaufsbaracken. Interesse haben wir nur noch für Dinge, welche den Magen angehen. Die Spelunkenin-haber empfangen uns wie die Ständligurren in Einsiedeln die Pilger. Nach kurzer Beratung steigen wir in das zweitnobelste Hotel ein und lassen uns auf der Ter-rasse elegant nieder. Die Wirtin reibt vergnügt die Hände. Raimund entfaltet sich zusehends: «Jetzt muss einmal Poulet her, ich will z Itali nobel auftreten». Die Mehrzahl der Mitglieder war bescheidener und erlabte sich an den Spaghetti, während Raimund an einem Miniaturknochen eines alten Huhnes seine Leiden-schaft entfalten durfte. Lobend muss hier erwähnt werden, dass Vital uns allen die Fertigkeit beibrachte, die Spaghetti mit der dort landesüblichen Vigalanz zu vertilgen. Um den übrigen anwesenden Gästen zu zeigen, dass wir aus dem Ge-birge stammen, gibt Raimund zum Dessert einige Görbse zum besten. Der all-gemeine Beifall, welcher darauf erfolgte, galt jedoch nicht ihm, sondern einer Lazzaranimusik, welche von Kneippe zu Kneippe zog.
Nun kommt die Hauptsache: die Besichtigung des Schlosses. Wer Augen gehabt hat, hats bewundert; die weitere Beschreibung kann man in jedem Führer nach-lesen. Volle 2 Stunden nimmt die Besichtigung in Anspruch, keiner wird die Pracht vergessen. Nach Aufnahme einiger photographischer Bilder, welche ziem-lich krepierten, reist die Gesellschaft um 4 ½ Uhr nach Pallanza (sprich Balanse). Kurze Besichtigung der Stadt. Von hier aus flogen die ersten Ansichtskarten mit «fielen Grüssen» zu den heimatlichen Herden. Viktor schwelgt immer noch im Glück. Er hat auf der Isola Bella eine Schweizerkellnerin getroffen, welche aus dem gleichen Kirchensprengel stammt, wie seine zarte Freundin. Er hat ihr einen Gruss ausrichten dürfen, welches Glück! Er ist auf einmal wieder im Möhrli. Einem vorbeigehenden Offizier sagt er freundlich «Gruezi» Bleibt aber uner-widert. «Das sind uufründli Chögä» meint Hofstetter. Müde von des Tages Stra-pazen, lassen wir uns an der Dampfschiffstation nieder. Hier promenierten grosse Toiletten, besonders fielen uns die hohen Kragen à la Maria Stuttgart auf. Welch ein Unsinn, bei dieser Hitze solche Kragen zu tragen., wettert Brunner, der be-kanntlich mit diesen auf schlechtem Fusse steht.
Ein Lazzaroni-Kutscher macht uns den Vorschlag, dem Dampfer, der erst um 8 Uhr gekommen wäre, dem Ufer entlang vorzufahren. Rasch entschlossen be-steigen wir sein Vehikel. Die Fahrt ist ein Genuss für diejenigen, welche anstän-dig sitzen können. Die Uferlandschaft kommt jetzt erst recht zur Geltung. Wir durchqueren Intra und landen in Ghiffa (sprich Griffa) allwo Vital dem schmun-zelnden Kutscher die 30 Liren in die Tasche schiebt.
In einem Garten geniessen wir «ein Abend am Langensee».1/2 9 Uhr rutscht der Dampfer an. Man begibt sich stolz auf das Verdeck I Klasse, wo der mitgenom-mene Proviant, hauptsächlich Salami, verzehrt wird. Mit stolzer Geste offeriert Hofstetter seinen in einer Aluminiumflasche mitgenommenen weissen Wein, wel-cher gottserbärmlich stinkt. Mit der gleichen stolzen Geste jongliert er diese stin-kende Flüssigkeit übers Verdeck – dummerweise auf die am unteren Verdeck weilenden Herrschaften. Kaum begonnen, wälzen sich diese Fahrgäste voll be-rechtigter Entrüstung die Stiege zu uns herauf und geben in beredten Worten ihrer gerechten Entrüstung Ausdruck. Hofstetter versteht natürlich kein Wort, merkt aber gleich, dass er nicht hätte «Emil der Täufer» spielen sollen. Er ist bleich geworden. Aus der Verlegenheit hilft, wie immer, der Berichterstatter, in-dem er das Höflichkeitsregister zieht und sämtliche in seinem Kopf lagernden ita-lienischen Höflichkeitsformeln spielenlässt. Die Leute ziehen befriedigt von dan-nen
Endlich gegen 11 Uhr kommen wir mit 3/4 stündiger Verspätung an der Endstat-ion Cannobio an. Müde von des Tages Aufregungen, klopfen wir sämtliche Gast-höfe des Städtchens ab, um ein Nachtlager zu finden, aber vergeblich. In der Verzweiflung setzen wir uns vor eine Wirtschaft. Nun kommt der Moment, wo unsere ganze Lebenserfahrung, Kaltblütigkeit und Selbstbeherrschung auf die Probe gestellt wird, nämlich uns ruhig mit dem Gedanken abzufinden, unser La-ger in einer Wiese unter einem Baume aufzuschlagen und dort die Nacht in Gesellschaft giftiger Schlangen zu verbringen. Es war der niederschmetterndste Augenblick der ganzen Reise. Welche Perspektive! Hofstetter seufzt: «Wäre ich doch in der Harmonie zu Hause». Andere zeigen ihre Missstimmung durch hart-näckiges Stillschweigen und glotzen die ganze Zeit unter den Tisch. Vital scharrt mit den Füssen, noch immer auf Rettung hoffend. Physisch hat diese Situation die denkbar höchsten Anforderungen an die Wäggitaler gestellt und es ist nur einem glücklichen Zufall zu verdanken, dass nicht einer nach dem andern aus Verzweiflung in den See gesprungen ist.
Endlich kommt ein Retter, wieder ein Lazzaronikutscher. Er will uns noch die glei-che Nacht nach Brissago führen. Die Kellnerin im dortigen Restaurant rät uns zu dieser Fahrt und empfiehlt uns insbesondere das Gasthaus zum Sternen in Bris-sago, wo eine liebenswürdige Frau Schlatter uns trotz der späten Nachtstunde gern aufnehmen würde. Der Kutscher rückt an und erleichtert steigen wir ein. Raimund auf dem Bock, wie es sich gehört. Die Nachtfahrt, welche eine Stunde dauerte, wird uns immer in Erinnerung bleiben. Die Scheinwerfer der Brissago-Zollstation begleiten uns beständig und zaubern wunderbare Lichteffekte vor unsere schläfrigen Gesichter. An der italienischen Zollstation angekommen, ver-sagt Dr. Vital. Ich muss allein als Parlamentär aussteigen und in Achtungsstellung dem Zöllner meine Gesellschaft als unschuldige, harmlose Touristen heraustrei-chen. Dito bei der Schweizer Zollstation. Endlich 1 ½ Uhr fahren wir beim Hotel Sternen in Brissago vor. Ein sanfter Ruf Viktors: «Frau Schlatter» und schon hö-ren wir die Antwort einer zarten Stimme und das Rauschen seidener Kleider. Wie glücklich waren die Knaben! Sie gleitet die Stiege hinunter, aber o weh! Welch eine Ribelamazone! «Alle Hochachtung vor Ihnen», beteuerten wir. «Sie sind ein Prachtsmensch, Frau Schlatter, sie sind unsere Retterin!» Anstandshalber lies-sen wir uns im Restaurant nieder. In den ersten 5 Minuten gibt sie uns zu verste-hen, dass Zoten ihr Ideal sei, also eine ganz feine Dame! Während unserer Begrüssung studiert Raimund die sanitarischen Einrichtungen des Gasthofes. Es gelang ihm aber nicht, in der Telephonkabine, genannt Latrine, gründlich aufzu-räumen. Frau Schlatter nahm es ihm nicht übel.
Es folgt darauf im Restaurant Bespritzung sämtlicher Mitglieder mit Seltz unter der Anleitung von Dr. Vital. Der Berichterstatter machte sich, weil gütschiteig, in die Kiste. Der Tag brach in Brissago trotzdem wieder an. Frau Schlatter (sprich Frau Schlegel) ist am Morgen so gesprächig, dass wir kurzerhand abreisen. Gu-ter Stimmung nimmt man den Tag unter die Füsse. Heiss scheint die Sonne auf unsere Rücken, aber die wunderbare Aussicht, die frohe Stimmung, machen uns das leicht. Nach etwa ¾ Stunden Marsches kehren wir in einer sauberen italie-nischen Beize ein, wo eine Hebamme das Szepter führt, notabene als tüchtigste Hebamme der ganzen Gegend bekannt ist. Vital fühlt sich gleich als Kollege und schliesst mir ihr Freundschaft. Es brauchte schon etliche Flaschen, bis der Durst gelöscht war. Wir machen uns auf nach Ascona. Es ist gerade Mittagszeit, als wir beim «grünen Heinrich» vorbeimarschieren. Nein, da wollen wir nicht hinein, hiess es, niemals, nur in keine deutsche Wirtschaft. In eleganter Kurve biegen wir gegen die Häuserreihe am Quai. Weiss bedeckte Tische grüssen uns von einer Hotelterrasse aus. Da meinte einer: es ist zu nobel, was einstimmig genehmigt wird.
Wir wollen doch lieber in einer echt italienischen Spelunke Risotto mit Barbera begiessen. Sogleich wird der hinkende Bote ausgesandt, um in einem beschei-deneren Restaurant einen Mittagstisch ausfindig zu machen. Auf dem Rekognos-zierungsgang gelangt der Parlamentärin ein «Schwyzerstübli», wo er sofort eine herzliche Aufnahme findet und ihm die Madame versichert, bis in einer halben Stunde ein flottes italienisches Mittagessen für die ganze Gesellschaft fein und säuberlich bereit zu halten.
Während dieser halben Stunde langen Wartens finden wir es richtiger, unsere schweissgebadeten Körper in den See zu tauchen. Gedacht, getan. Etwa 5 Mi-nuten ausserhalb des Dörfchens zeigte sich ein prachtvoller Strand, gespickt mit verreckten Katzen und Hühnern. Diese Viecher hindern uns aber nicht in unse-em Vorhaben. Rasch ins Wasser… doch o weh, beim Kleiderausziehen bemer-ken wir, dass wir im ganzen nur über 2 Badehosen verfügen. Das hält uns erst recht nicht von der Baderei ab. Schnell werfen sich zwei der Mutigsten in die blaue Flut (Brunner und Intreprete) natürlich in ihren Badekostümen, entledigen sich jedoch unter Wasser der Badehosen und schwingen sie in grossem Bogen den 2 wartenden Kollegen am Ufer zu, welche sich gleich darauf, wie wilde Tiere ins Wasser purzeln. Nur Hofstetter will nicht ins Wasser; er sagt, seine Mutter sel. habe ihn immer nur in einer Gelte gebadet. Hier habe es zu viel Wasser. Es bleibt noch Viktor. Fatalerweise bleiben für ihn keine Badehosen mehr übrig. Dessen-ungeachtet, beginnt er, sich sorgfältig auszuziehen und bleibt dabei sehr anstän-dig. Aber gebadet muss sein. In der linken Hand das Sacktuch verdeckt er das Notwendigste und entzieht mit dem aufgespannten Schirm in der rechten Hand den hinteren Teil den forschen Blicken der auf dem Quai promenierenden Gra-zien. So marschiert er tapfer dem See entgegen. Ein Bild, das uns allen unver-gesslich bleibt und von Vital unbedingt in einer Skizze festgehalten werden muss.
Nur zu schnell müssen wir uns vom Hotel Sasso und von Locarno trennen. Mit dem 9-Uhr-Zug verlassen wir Locarno. In Bellinzona landen wir um 10 Uhr, gera-de noch Zeit, um dem Hauptgottesdienst in der Kathedrale einen Besuch abzu-statten. Der kollegiale Andrang der Männerwelt erregt unsere Aufmerksamkeit. Auch Kollege Hofstetter fing an, sich wegen Andrang zu beklagen. Wir einigen uns zu einem Znüni. Unser Führer geleitet die Schar ins Hotel Biscia (Schlange). Der gewollte Effekt kam nicht. Wir gehen weiter in Zickzackgängen durch die Strassen Bellinzonas und schlendern gemütlich die südliche Terrasse hinauf, gegen die Burg Unterwalden. Hier echt italienische Landschaft .Wir haben kaum die halbe Höhe erreicht , als ein anmutiger Garten mit versteckten Granitischen und Bänken uns hineinzieht. Da wird ein guter Tropfen zu Gemüte geführt und Eingeborenen in Praxis gezeigt, was im Tessin ein Grotto zu bedeuten hat. Eine gute Photographie erinnert an diese Stunde. Von der Besichtigung der obern Burg wird ohne weitere Diskussion Umgang genommen und wieder gegen Bel-linzona gesteuert. Im Rückweg will Vital nautische Spiele einführen, gelingt ihm aber nicht. Das Bankett im Garten und Ristorante Zanetti verläuft zu allgemeiner Zufriedenheit. Nur Hofstetter hat immer noch mit dem Andrang zu tun, welchem Dank der nahen Latrina jeweilen schnell abgeholfen ist. Giftmischers Pillen wir-ken da lori. Es schlägt bald die Abschiedsstunde in Bellinzona. Um 3 Uhr ver-stauen wir uns samt den Geschenken, so man hatte, in den Eisenbahnwagen. Ein jeder kann seine Müdigkeit nicht verleugnen. Wir rutschen dem Gotthard zu. Bei Biasca zeigen alle noch Interesse an der an sich etwas öden Gegend. Nachher übermannt der Schlaf fast alle. Hofstetter hingegen, als alter Sanitäts-soldat und guter Patriot, gibt, als er der Gotthardbefestigungen ansichtig wird, einige Salutschüsse zum besten, um dann ganz in der Nähe von Airolo in Schnellfeuer zu übergehen. In Göschenen meinte er dann: «Es genügt jetzt, es hat genug geklepft.». Im Eiltempo gings nach Zug, nach kurzer Rast Thalwil, bis wir endlich im Glarnerzug hocken. In den Augen der Geschenkträger glitzert es. «Ja, wir sind z Itali gsi und haben den Frauen etwas gekramet wird das ein Empf-ang absetzen!» Diejenigen, die keine Schürzen mitbrachten, dachten an die Kna-benhemden und waren traurig gestimmt….verworfenes Geld! In Näfels ange-langt, haben es sich 2 Wäggital-Frauen nicht nehmen lassen, uns feierlich zu empfangen. Die geplante Rezitation eines Gedichtes von Frau Raimund musste des Regenwetters halber unterbleiben. Der Empfang wird also abgekürzt und bald begeben sich sämtliche Mitglieder zu ihren Regierungen, wo des Erzählens kein Ende nehmen wollte.
Arrivederci, Italia e Ticino, a la prossima volta !
Näfels. 23. Oktober 1923
Ich bin dabei, herauszufinden wer die "Wäggitaler" waren.
Dr. Vital - eine bekannte Grösse, Dorfdoktor mit Brissago Dr. Vital Hauser
Zesar - Zesar Walcher, Wydenhof, Berichterstatter, sein Vater war der "Vater des Schlacht-denkmals, das er 1988 politisch gegen den Willen der Regierung des Landates durchgesetzt hat
VIktor - Viktor Schneider, ein Sohn des Prof. Doktor Schneider, Bühl
Raimund - Raimund Hauser, Beuge, ein Vorfahr von z Hüüserlis
Hofstetter - Coiffeur, im angebauten Haus an das Tolderhaus, wurde bei der Strassen-korrektion abgerissen, im Parterre war eine Coifeurbude
Brunner - ?
Nicht erwähnt, aber eine Rolle gespielt haben soll, "Airolofridel" Fritz Müller, Gemeinderat und Präsident der Pferdestellungskommission (ein Bruder von Beck Arnold Müller)
Vital Hauser. Arzt, 5. Februar 1886 bis 3. Juni 1985, war bei der Reise 37-jährig
Caesar Walcher
VIktor Schneider
Raimund Hauser, Kaufmann, Landwirt, Josef Raimund Hauser, 7.3.1883 bis 30.3.1976
...Hofstetter
...Brunner
Fritz Müller, Airolofridel
Freitag, 24. Juli 2020
Trouvaille
Nachtrag zu "L' Elvezia in cammino" Bellinzona
Allen hat aber das Bad Wunder gewirkt. Ausgehungert, zur verabredeten Zeit, langen wir im trauten Schwyzerstübli an, wo uns ein weiss gedeckter Tisch freundlich empfing. Die Suppe wird aufgetragen, eigentümlich: keiner will recht dreinfahren. Die Suppe ist ziemlich windig. Vital und ich lassen uns jedoch nicht beeinflussen, denn die nachfolgenden Spaghetti verschwinden tristenweise nach der auf Isola Bella gelernten Methode in unseren Schlünden. Hofstetter schaut diesem Treiben neidisch zu. Raimund ist froh, im Schwyzerstübli zu sein, wo er seine Kraftausdrücke wieder anwenden kann. Brunner und Viktor sind sehr an-ständig, sie schimpfen erst später. Nach diesem Bankett lassen wir uns unter der Baumallee am Strand nieder, um im weichen Gras die wohl verdiente Siesta zu geniessen. Insbesondere Hofstetter, Raimund und Brunner werden sogleich vom Schlaf übermannt. Das Plätschern der wellen am Strande, vom See her der sanf-te Hauch des italienischen Südwindes, der starke Schlagschatten der Kastanien-bäume schläfern die Pilger ein und lässt sie selig träumen: Evangelium des Matt-häus, Kapitel 4, 1-4 Vers: «Wehret ihnen nicht, denn es ist ihnen Heil wiederfahren in fremden Landen ihre Augen haben geschaut fremde Paläste, ihr Mund hat gekostet fremde Speisen, durch ihre Kehlen sind geflossen süsse Weine, ihre Ohren haben gehört unverständliche Laute und mit ihren Händen haben sie gemacht unverständliche Zeichen,»
Jetzt beginnen – das sie so verklärt träumen – im nahen Kirchturm die Schwungräder der heraushängenden Glocken sich zu bewegen und bald tönt die frohe, heimelige italienische Glockenmelodie über unsere Köpfe hinweg, hinein in die lachende Seelandschaft. Während dieser feierlichen Mittagsstunde hielten Vital und Zesar gleich Heiliggrabwächtern getreulich Wache bei den Schlafen-den. Ausgeruht haben alle.
3 Uhr Abmarsch. Wir verliessen Ascona im Schlendrianstempo. Die Sonne brennt immer noch italienisch, wir marschieren gegen Locarno. Die Hitze nötigt uns, halbwegs in einer Kneipe unterzustehen. Gegen 5 ½ klangen wir ziemlich er-müdet in Locarno an. Es wird grosse Toilette befohlen. In einem Coiffeur-Salon ist Hofstetter Auge und Ohr. Es imponiert ihm «nobler als zu Hause» und «flinker» meint ein anderer. «Ein solches Rädli hast du noch nicht» sagt ein dritter (es war der Ventilator gemeint) Wieder fein geputzt, in strammer Haltung machen wir uns auf zur Drahtseilbahnstation Madonna del Sasso. Raimund bring seine erworbe-nen italienischen Sprachkenntnisse zur Geltung: an der ersten Wagentüre liest er: 15 Posti. «Da ist die Post, da dürfen wir nicht hinein.» belehrte er uns. Nach kurzer Fahrt marschieren wir die Treppen des berühmten Wallfahrtsortes hinan. Feierlich empfangen uns im Korridor eine Gruppe Kollegen, welche gastlich an einem Tische sitzen. Wir konnten uns fast nicht trennen. Alles wird hierauf gründ-lich besichtigt, bis uns der Appetit in das höher gelegene Hotel Sasso lockt. Im Hotel Sasso sind wir wie Fürsten aufgehoben. Eine Batterie leerer Bierfaschen bewies, dass ungezwungener Humor in Gesellschaft der ganzen Hotelfamilie bis zum späten Abend zur Geltung kam. Einige Mitglieder fanden es für nötig, ihren Frauen Tessinerschürzen zu kramen, während Brunner und Zesar sich in einem feinen italienischen Magazin Knabenhemden anschafften. Wer einen blödsinni-geren Kauf gemacht hatte, lassen wir dahingestellt. In flotten Betten verfallen unsere Körper in einen tiefen Schaf.
Morgens in aller Frühe – das muss hier speziell erwähnt werden – ist Viktor der einzige, welcher eilenden Schrittes der Madonna zustrebt, wo unter seiner Assis-enz die Frühmesse gelesen wurde. Obschon die heraushängenden Glocken zunderobsi auf Halbmast stehen, lassen sich die übrigen Kollegen nicht zu einem Messebesuch erwärmen.
Nicht einmal Hofstetter, welcher in aller Herrgottsfrühe mit der Frau Wirtin, beide mit verschränkten Armen, ein gemütliches Plauderstündchen abhalten.
Das Motta-Denkmal
Der Entwurf von Remo Rossi, die schreitende Helvetia mit der Friedens-palme, erhielt den ersten Preis und wird zur Ausführung vorgeschlagen. Die Jury betrachtet den Entwurf. Von links nach rechts: Arch. Strasser, Bern; Arch. Brenni, Bern; Augusto Giacometti, Zürich; Bildhauer Probst, Genf; Bildhauer Hubacher, Zürich.
Entnommen der:
Die Berner Woche, Nr. 6 Bern, 6. Febr. 1943, Preis 235 Rappen
Quelle:
https://www.e-periodica.ch/digbib/view?pid=bwo-002:1943:33#136
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"Agätäbroot und Füürälihäiss"
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Dunschtig, 21. Novämber 2024
Erfolg isch we-nä Chlätterpartii,
zoberscht isch d Uussicht herrli, abr gfäährli, wägem abägkiijä.
Novämber oder Winter-Munet
Wänn dä d Novämbertääg da sind, gitt's nuch gag-gäärä schtürmisch Wind.